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1.1.6. Wilhelm Schallmayer
Wilhelm Schallmayer (1857-1919) studierte zunächst Philosophie und Jura, wechselte aber schließlich zur Medizin. Nach seinem Staatsexamen 1884 war er kurze Zeit Assistent von dem Psychiater und Hirnforscher Bernhard von Gudden (1824-1886), unter dessen Leitung er über „Die Nahrungsverweigerung und die übrigen Störungen der Nahrungsaufnahme bei Geisteskranken“ dissertierte. Nach einer Zeit, in der er als Schiffsarzt arbeitete, ließ er sich als praktischer Arzt in Kaufbeuren nieder und heiratete. Kurze Zeit später ließ Schallmayer sich zum Facharzt für Harn- und Geschlechtskrankheiten ausbilden, da deren Vorbeugung und Heilung im Interesse der kommenden Geschlechter liegen würde. 1894 reiste er als Schiffsarzt für ca. ein Jahr nach Ostasien. Anschließend war er sieben Jahre lang als Facharzt tätig, um sich daraufhin nur seiner privaten wissenschaftlichen Arbeit zu widmen (vgl. Becker[12] 1988, S. 10 ff.).
Am 01. Januar 1900 wurde ein Preisausschreiben mit dem Thema „Was lernen wir aus den Prinzipien der Descendenztheorie in Beziehung auf die innerpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?“ mit dem Preisgeld von 50 000 Mark (vgl. Nowak, S. 21) vom Großindustriellen Alfred Krupp veröffentlicht. Der Gewinner war der Arzt Wilhelm Schallmayer mit der Schrift „Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker“. Bis 1919, dem Todesjahr Schallmayers, galt dieses Buch als das führende Lehrbuch für Rassenhygiene in Deutschland (vgl. Drechsel, S. 116; Schmuhl, S. 43). Der Darwinist Schallmayer sah eine „Entartungsgefahr“ als „Kehrseite der Möglichkeit aufsteigender Stammesentwicklung“ (Schallmayer, S. 131) aufgrund des Sozialwesens, der modernen Medizin und der ‚Irrenbehandlung‘, da hierdurch den erbgesundheitlich nicht ‚Hochwertigen‘ eine erhöhte Fortpflanzung ermöglicht werde. Jedoch sei eine erhöhte Fortpflanzung des „Volkskörpers“ notwendig, allerdings nur der „begabteren Elemente“ (ebd., S. 224). Zur Erreichung dieses „Rassedienstes“- Schallmayer präferierte diesen Ausdruck gegenüber dem der „Rassenhygiene“ von Ploetz- schlug er die Einführung erbbiographischer Personalbögen vor, die Amtsärzte erstellen sollten mit sämtlichen beobachtbaren Daten zu ererbten und vererblichen, körperlichen und seelischen Eigenschaften eines Menschen. Vor einer Heirat sollten Ehezeugnisse mit jenen Daten ausgetauscht werden (vgl. ebd., S. 393); ein Eheverbot solle grundsätzlich für ‚Geschlechtskranke‘, hochgradig ‚Schwachsinnige‘ und Epileptiker ausgesprochen werden. ´Minderwertige` (´gemeingefährliche Irre`, Epileptiker, ‚Schwachsinnige‘ und Verbrecher) sollten durch Zwangsasylierung[13] von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden; die Kosten dafür sollten von deren Eltern getragen werden, als Strafe dafür, „(...) daß sie minderwertige Kinder in die Welt gesetzt haben (...)“ (ebd., S. 426 f.). Die Idee der Asylierung geht auf den Autor des gesundheitspolitischen Programms der SPD, Alfred Grotjahn, zurück. Er befürwortete eine erweiterte Asylierung als „ein humanes und wirksames Mittel, den menschlichen Artprozeß durch Abhaltung ganzer Gruppen von Minderwertigen von der Fortpflanzung in großem Maßstabe zu beeinflussen“ (zit. nach Schmuhl, S. 45). Die als ‚minderwertig‘ titulierten seien nach Grotjahn ‚Geisteskranke‘, ‚Idioten‘, Epileptiker, Alkoholiker, Blinde, Taubstumme, Krüppel und Invaliden sowie ‚Psychopathen‘ und ‚Vagabunden‘ (vgl. ebd.).
Die Sterilisation sah Schallmayer als eine Alternative zur Asylierung.
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[12] Die Werke Peter Emil Beckers sind sehr detailreich, allerdings enthalten sie m.E. eine Verharmlosung des Zusammenhangs zwischen Rassenhygiene bzw. Rassenhygienikern und Nationalsozialismus.
[13] Unter Zwangsasylierung wird die erzwungene Einweisung in ein Fürsorgeheim verstanden.
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