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2.1. Kritik am Totalitarismuskonzept
2.1.1. Wolfgang Wippermann zu Totalitarismustheorien
(vgl. zum gesamten Abschnitt Wippermann, S. 111-117)
Nach Meinung Wippermanns (Jahrgang 1945)[35] weise die Geschichte der Totalitarismusdiskussion Schwankungen auf, die eher politische als wissenschaftliche Ursachen gehabt hätten. Dies belege den „Doppelcharakter“ (Wippermann, S. 111) des Totalitarismus als Ideologie wie Theorie; die Stoßrichtung sei auf jeden Fall klar antikommunistisch. Die BRD hätte ein ‚demokratisches Totalitarismuskonzept‘ als Staatsverständnis, die Staatsideologie sei die eines ‚antitotalitären‘ Staates[36]. Deutlich sei dies geworden v.a. ab den 70er Jahren durch exekutive und legislative Maßnahmen gegen Links[37].
Nach der Auflösung der ‚realsozialistischen‘ Staaten schließlich existierte in der BRD keinerlei ‚Vergleichsverbot‘ mehr zwischen Kommunismus und Faschismus, sondern ein ‚Vergleichsgebot‘. Dabei sei z.B. die weitverbreitete Totalitarismustheorie Friedrichs und Brzezinskis zur Erklärung von Empirie nur mangelhaft anwendbar. Zudem abstrahierten Vergleiche von DDR und ‚3. Reich‘ z.B. Rassenkrieg und Rassenmord, für den es in der DDR kein Äquivalent gab. Dies führe zu einer Relativierung des Nationalsozialismus.
Wenn eine neue Totalitarismustheorie entwickelt würde, so Wippermann, sollte sie die Entwicklung einer totalitären Diktatur sowie die unterschiedlichen Voraussetzungen und konträren ideologischen Zielsetzungen der einzelnen ‚totalitären Regime‘ berücksichtigen und vor allem der historischen Bedeutung des Holocaust gerecht werden, ohne aufrechnende Vergleiche durchzuführen. Sie könne dennoch durchaus politisch wertende Momente enthalten; z.B. dass und warum es legitim sei, die parlamentarische Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen; denkbar sei beispielsweise eine Verbindung von Totalitarismus- und Demokratietheorie.
Wippermann schließt seine Ausführungen mit dem Fazit, dass die bisherigen Totalitarismustheorien mehr in ideologiegeschichtlicher als in wissenschaftlicher Hinsicht interessant seien, weil sie wenig zur Erklärung der Geschichte des Totalitarismus beigetragen hätten, aber viel über die deutsche und europäische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts aussagten.
2.1.2. Reinhard Kühnl[38] zu Totalitarismustheorien
(vgl. zum gesamten Abschnitt Kühnl 1990, S. 134-145)
Während Wippermann eine Neuformulierung einer Totalitarismustheorie noch für sinnvoll hält, um kommunistische und faschistische Gesellschaften zu erklären und die Legitimation zur Verteidigung der parlamentarischen Demokratie gegenüber ihren Feinden[39] zu geben (vgl. 2.1.1. dieser Arbeit), hält Kühnl das Totalitarismuskonzept von seiner Entstehung an für ein Kampfmittel gegen Links und als wissenschaftlich nicht haltbar.
Laut Kühnl sei das Konzept des Totalitarismus bereits nach 1917 als Kampfmittel gegen die russische Revolution entwickelt worden: ‚Demokratien‘ und ‚Diktaturen‘ sollten gegenüber gestellt werden. Bis 1945 hätten einige Konzepte noch eine antifaschistische Komponente gehabt; danach beschränkte sich der Totalitarismus auf die Darstellung des Kommunismus als aktuelle Form des Totalitarismus und daher als allein wesentliche Gefahr für die ‚parlamentarischen Demokratien‘. Seitdem richtete sich die Totalitarismustheorie hauptsächlich gegen den Marxismus und Kommunismus. So wäre die wissenschaftlich nicht haltbare Gleichsetzung mit dem Faschismus geeignet, die sozialistischen Länder sowie die sozialistische/ kommunistische Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern zu diskreditieren. Im politischen Tageskampf würde die Totalitarismustheorie noch immer eine zentrale Rolle spielen, so z.B. in der Behauptung, dass Rechts und Links gleichermaßen die ‚Demokratie‘ bedrohen würden, wie schon die Weimarer Republik gezeigt hätte[40].
Kühnl stellt zwar fest, dass die in der Totalitarismustheorie (v.a. der Friedrichs[41]) durchaus Merkmale enthalten seien, die auf die UdSSR unter Stalin wie auf den Faschismus zuträfen[42], grundsätzlich bestünden jedoch methodische wie inhaltliche Mängel an dieser Theorie. Sie beschränke sich methodisch in ihrer Betrachtungsweise lediglich auf die Form und Methode der Herrschaft, ohne ihren Zweck und Inhalt zu untersuchen. Es fände nur eine Beschreibung des faschistischen Herrschaftssystems statt, ohne es zu erklären.
Inhaltliche Mängel gäbe es folgende: Die Darstellung, dass das Eingreifen der Massen ins historische Geschehen und die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft Ursachen des Faschismus seien, sei unhaltbar. Ebenso sei es falsch, der kommunistischen wie der faschistischen Ideologie zu unterstellen, sie proklamiere ein „Paradies auf Erden“ oder „den Traum der klassenlosen Gesellschaft“ (Friedrich, S. 15, zit. nach Kühnl 1990, S. 135). Real baue die faschistische Ideologie auf der Naturnotwendigkeit von Herrschaft und Unterordnung sowie dem ewigen Kampf der Völker und Rassen ums Dasein, das Recht des Stärkeren. Die kommunistische Ideologie baue hingegen real auf einer klassenlosen, auf Solidarität beruhenden Gesellschaftsordnung auf. Die Behauptung, der Faschismus hätte die „zentrale Lenkung und Beherrschung der gesamten Wirtschaft“ (ebd.) gehabt, sei falsch, da der Faschismus die Organe der Lohnabhängigen und Mittelschichten zerschlug; die großen Industrie- und Bankkonzerne hatten ein hohes Maß an Selbtverwaltung und eine starke Machtposition im politischen und ökonomischen Herrschaftssystem. Kühnl widerlegt ebenso die Behauptung, dass der Kommunismus wie der Faschismus „den Glauben an die Stelle der Vernunft“ (Friedrich, S. 54, zit. nach Kühnl 1990, S. 138) gesetzt hätte. Denn es sei der Faschismus gewesen, der die Irrationalität und Denunziation, Blut und Boden, Glaube und Gemüt vor Vernunft und Aufklärung gesetzt hätte, während der Kommunismus sich in der Tradition von Aufklärung, Vernunft und Wissenschaft befunden hätte. Zudem deckt Kühnl auf, dass Friedrich einige seiner Thesen durch verfälschte Marx- Zitate begründet[43].
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[35] Wippermann ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und war interessanterweise Schüler Ernst Noltes.
[36] Dies werde hervorgerufen durch eine ‚Bedrohung‘ der (real existierenden) parlamentarischen Demokratie von linken wie rechten ‚Antidemokraten‘.
[37] Z.B. Verstärkung der Polizei, Rücknahme einiger Reformen im universitären Bereich, ‚Berufsverbote‘, Einschränkungen der Versammlungs- und Pressefreiheit.
[38] Reinhard Kühnl (Jahrgang 1936) ist Professor für wissenschaftliche Politik in Marburg.
[39] Der Begriff der ‚parlamentarischen Demokratie‘ bleibt bei Wippermann jedoch schwammig, da die demokratietheoretische Zuordnung derselben in der BRD bei ihm fehlt; ebenso verhält es sich mit der genaueren Definition, um welche ‚Feinde‘ der ‚Demokratie‘ es sich seiner Meinung nach denn handle.
[40] Diese Argumentation führte beispielsweise zum ‚Radikalenerlaß‘ 1972.
[41] Die „entscheidenden Wesenszüge“ der totalitären Diktaturen allgemein, die „ihre Gestalt ausmachen“, beschreibt Friedrich wie folgt (Kühnl 1990, S. 135):
„1. Eine ‚offizielle Ideologie‘, die ‚einen Endzustand der Menschheit, ein Paradies auf Erden proklamiert‘.
2. Eine ‚Massenpartei, die im alleinigen Besitz der formellen Herrschaft ist‘, hierarchisch aufgebaut ist und in der Regel von einem Diktator geführt wird.
3. Die ‚terroristische Geheimpolizei‘, die die nachweisbaren Feinde des Regimes, aber auch eigenmächtig ausgewählte Bevölkerungsgruppen bekämpft.
4. ‚Das nahezu vollkommene Monopol aller Nachrichtenmittel in der Hand der Partei und ihrer Kader‘.
5. Das ‚fast vollkommene Waffenmonopol‘ des Staates.
6. ‚Die zentrale Lenkung und Beherrschung der gesamten Wirtschaft... durch eine bürokratische Gleichschaltung aller vorher unabhängigen Wirtschaftskörper.‘“ (Zitate aus: Friedrich, S. 15)
[42] Diese Merkmale wären: Terroristische Herrschaft, Einparteiensystem sowie Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Opposition.
[43] Z.B. „Religion ist Opium für das Volk“; richtig wäre: „Religion ist das Opium des Volks“ (vgl. Kühnl 1990, Fußnote 208, S. 336).
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