Hilfsschule

Die Hilfsschule im Nationalsozialismus

von Kirsten Knaack

1.1.9. Die Institutionalisierung der Rassenhygiene

Die Institutionalisierung der Rassenhygiene schritt nun immer rascher voran. In München entstand 1923 eine ‚kriminalbiologische Sammelstelle‘ zur Datensammlung von Straftätern, sowie die erste Universitätsprofessur für Rassenhygiene für Fritz Lenz[18], 1924 das ‚Institut für Genealogie und Demographie‘ unter Ernst Rüdin, in Berlin 1927 das ‚Kaiser- Wilhelm- Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik‘[19] unter Eugen Fischer, Otmar von Verschuer[20] und dem Jesuitenpater Hermann Muckermann.

Dass die Rassenhygiene und der Faschismus eine gewisse thematische Überlappung hatten, stellte Lenz bereits 1932 fest: „Die Staatsidee des Fascismus hat ohnehin eine Wesensverwandtschaft mit der rassenhygienischen Idee. (...) In der Hinwendung zum überindividuellen Leben des Volkes deckt sich der Nationalsozialismus mit dem Fascismus, der auch sonst in manchen Dingen sein Vorbild ist. (...) Daß der Nationalsozialismus ehrlich eine Gesundung der Rasse anstrebt, ist nicht zu bezweifeln. Einige wirtschaftliche Forderungen des nationalsozialistischen Programms liegen auch in der Richtung der von der Rassenhygiene zu stellenden wirtschaftlichen Forderungen oder sie lassen sich doch leicht in diesem Sinne ausgestalten.“ (Baur/ Fischer/ Lenz II, S. 415 ff.)

Die Machtübertragung an die NSDAP wurde von den Rassenhygienikern begrüßt, da sie auf die praktische Umsetzung ihrer Utopien hofften (vgl. Drechsel, S. 132 f.). Bock (S. 27) bezeichnet den Nationalsozialismus als „Vollstrecker der rassenhygienischen Bewegung“.

Faktisch setzte die NSDAP etliche rassenhygienische Forderungen in die Tat um: Rassenhygiene in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern, Aufbau von Lehrstühlen, eugenisch indizierte Zwangssterilisierungen und Schwangerschaftsabbrüche, Nachweis von Ehetauglichkeit, Kürzungen in den Leistungen von Anstalten, Asylierung von ‚Asozialen‘ sowie ‚erbbiologische Bestandsaufnahme‘ der Bevölkerung (vgl. Drechsel, S. 145)[21].

Prominente Rassenhygieniker kamen unter der Macht der Nationalsozialisten zu hohen Ehren: Ploetz erhielt 1935 eine Professur, Rüdin erhielt 1938 die Goethemedaille für Kunst und Wissenschaft.

An allen Entscheidungen über Erb- und Rassenpflege waren Rassenhygieniker durch Mitgliedschaft z.B. im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik oder dem Reichsausschuß für Volksgesundheit maßgeblich beteiligt. Diese Gremien wurden auch zur „Keimzelle“ (Schmuhl, S. 98) der Zentraldienststelle der ‚Euthanasieaktion‘ (vgl. ebd.).

Schmuhl entwickelt zur Analyse der rassenhygienischen Argumentation zusammenfassend die „Strukturelemente des rassenhygienischen Paradigmas“ (S. 49):

„1. Die Rassenhygiene stützte sich auf das für die Theoriebildung des Sozialdarwinismus grundlegende monistische Axiom, demzufolge das Gesellschaftsgeschehen auf Naturgesetzen- nämlich auf den für die darwinistische Evolutions- und Selektionstheorie aufgezeigten Entwicklungsgesetzen- beruhte. Von dieser Prämisse ausgehend konstituierte sich der Sozialdarwinismus als Naturlehre der Gesellschaft.

2. Die Rassenhygiene setzte den für die selektionistische Phase des Sozialdarwinismus charakteristischen Primat des Selektionsprinzips voraus, der mit einer Relativierung der für die evolutionistische Phase des Sozialdarwinismus typischen teleologischen Dimension des Evolutionstheorems verbunden war.

3. Die Rassenhygiene empfing dynamisierende Impulse aus der Dichotomie von Degenerationstheorien und Züchtungsutopien.

4. Die Rassenhygiene entwickelte auf der Grundlage einer bioorganismischen Metaphorik einen dezidierten Antiindividualismus, der den Wert des Menschenlebens gegenüber der als höhere Seinsstufe verstandenen Gesellschaft relativierte.“

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[18] Weitere universitäre Zentren für Rassenhygiene wurden neben München Berlin, Halle, Freiburg, Breslau, Rostock, Dresden, Leipzig, Jena, Heidelberg und Hamburg (vgl. Schmuhl, S. 79).

[19] Die ‚Kaiser- Wilhelm- Institute‘ waren die Vorläufer der heutigen ‚Max- Planck- Institute‘.

[20] Ein bekannter Schüler v. Verschuers war der spätere KZ- Arzt Josef Mengele.

[21] Dazu auch Kapitel 5 dieser Arbeit.

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