Hilfsschule

Die Hilfsschule im Nationalsozialismus

von Kirsten Knaack

1.2.1. Adolf Hitler: „Mein Kampf“

Um ein umfassendes Bild von Hitlers Argumentation zu erlangen, wird in diesem Abschnitt auf seine rassenhygienischen wie auch rassenanthropologischen Gedanken eingegangen, da Hitler beide Stränge durchgehend vermischte und so aus ihnen eine gedankliche Einheit bildete[24]. Dazu verfolgte er einen radikalen Antisemitismus.
Im 11. Kapitel des ersten Buches[25], „Volk und Rasse“, begann Hitler mit der Erklärung, dass im Tierreich nur Tiere derselben Art sich zu paaren imstande wären. Wenn sich zwei Tiere verschiedener Arten paaren würden, wären deren Nachkommen entweder unfruchtbar oder würden mangels Widerstandskraft rasch eingehen.
Da „jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen (...) als Produkt ein Mittelding zwischen der Höhe der beiden Eltern“ gäbe (Hitler, S. 312), werde es später im Kampf gegen höhere unterliegen. „Solche Paarung widerspricht aber dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des Lebens überhaupt. Die Voraussetzung hierzu liegt nicht im Verbinden von Höher- und Minderwertigem, sondern im restlosen Siege des ersteren. Der Stärkere hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so die eigene Größe zu opfern. Nur der geborene Schwächling kann dies als grausam empfinden, dafür ist er aber auch nur ein schwacher und beschränkter Mensch; denn würde dieses Gesetz nicht herrschen, wäre ja jede vorstellbare Höherentwicklung aller organischen Lebewesen undenkbar.“ (ebd.) Nur der Sieger des alltäglichen Kampfes ums Dasein dürfe zur Fortpflanzung gelangen. Dabei entwarf Hitler das bekannte rassenhygienische Bedrohungsszenario der massenhaften Fortpfanzung der angeblich Minderwertigen: „Wäre der Vorgang ein anderer, würde jede Weiter- und Höherbildung aufhören und eher das Gegenteil eintreten. Denn da das Minderwertige der Zahl nach gegenüber dem Besten immer überwiegt, würde bei gleicher Lebenserhaltung und Fortpflanzungsmöglichkeit das Schlechtere sich so viel schneller vermehren, daß endlich das Beste zwangsläufig in den Hintergrund treten müßte.“ (ebd., S. 313) Es drohe der Untergang: „Indem der Mensch versucht, sich gegen die eiserne Logik der Natur aufzubäumen, gerät er in Kampf mit den Grundsätzen, denen auch er selber sein Dasein als Mensch allein verdankt. So muß sein Handeln gege die Natur zu seinem eigenen Untergang führen.“ (ebd., S. 314) Diese Gefahr bestünde auch bei Verstoß gegen die „Rassereinheit“: „(...)daß bei jeder Blutsvermengung des Ariers mit niedrigeren Völkern als Ergebnis das Ende des Kulturträgers herauskam.“ Er warnte: „Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung[26] ist also, ganz kurz gesagt, immer folgendes: a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse, b) körperlicher und geistiger Rückgang und damit der Beginn eines, wenn auch langsam, so doch sicher fortschreitenden Siechtums.“ (ebd.) Die kulturellen Güter wären das „schöpferische Produkt weniger Völker und vielleicht ursprünglich einer Rasse[27].“ (ebd., S. 316) Würden diese Schöpfer untergehen, wäre dies auch das kulturelle Ende der Menschheit (vgl. ebd.). Die Vorbedingung allen menschlichen Fortschritts sei daher der „Siegeszug der besten Rasse“ (ebd., S. 317)[28]. Um den „Schutz des Menschen und seiner Kultur“ (ebd., S. 327) zu gewährleisten, bedürfe es der „Pflichterfüllung; das heißt, nicht sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit dienen“ (ebd.), was nichts anderes heißt, als dass das Wohl der ‚Volksgemeinschaft‘ vor dem Wohle des einzelnen gehe. Bei Nichterfüllung dieser ‚Pflicht‘ drohe ebenfalls der Untergang, und mit pseudoreligiöser Inbrunst behauptete Hitler: „Sowie erst der Egoismus zum Regenten eines Volkes wird, lösen sich die Bande der Ordnung, und ein Jagen nach dem eigenen Glück stürzen die Menschen aus dem Himmel erst recht in die Hölle.“ (ebd., S. 328)
Hitler gelangte schließlich zu seinem Hauptfeindbild, dem Juden, dem „(...) Parasit, im Körper anderer Völker“ (ebd., S. 334). Es bestünde die Gefahr, dass „der Jude“ sich in eine andere „Rasse“ einschleiche, um „Nährboden für seine Rasse“ zu finden (ebd.). Auf S. 335 betonte er noch einmal, dass das „Judentum ein „Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten und niemals eine Religion“ gewesen sei.
Eine große Gefahr sah er im Marxismus und dessen Sicht der Gleichheit der Menschen: „Durch die kategorische Ablehnung der Persönlichkeit und damit der Nation und ihres rassischen Inhalts zerstört sie [die marxistische Weltanschauung; Anm. d. Verf.] die elementaren Grundlagen der gesamten menschlichen Kultur, die gerade von diesen Faktoren abhängig ist. (...) Mit der Zertrümmerung der Persönlichkeit und der Rasse fällt das wesentliche Hindernis für die Herrschaft des Minderwertigen- dieser aber ist der Jude.“ (ebd., S. 351) Dabei sei „der Jude“ gewillt, den Marxismus an die Macht zu bringen, um die „Völker diktatorisch und mit brutaler Faust zu unterjochen und zu regieren.“ [sic] (ebd., S. 357) Desweiteren seien es hauptsächlich die ‚Minderwertigen‘, die dem Marxismus anhingen: „Gerade im wirtschaftlichen und politischen Wahnwitz liegt der Sinn dieser Lehre. Denn durch ihn werden alle wahrhaft Intelligenten abgehalten, sich in ihren Dienst zu stellen, während die minder geistig Tätigen und wirtschaftlicher schlecht Gebildeten mit fliegenden Fahnen ihr zueilen.“ (ebd., S. 351)
Ebenso gab er „Juden“ die Schuld, die „Blutschranken“ der Arier“ einzureißen, indem sie „Neger“ nach Deutschland gebracht hätten, „immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selber zu ihren Herren aufzusteigen.“ (ebd., S. 357)
Im 4. Kapitel des zweiten Buches, „Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke“, widmete Hitler sich verstärkt dem Thema der ‚Volksaufartung‘. Wie die Abgrenzung nach außen zu anderen ‚Völkern‘, so solle auch eine Abgrenzung innerhalb eines ‚Volkes‘ vonstatten gehen: „So wie ich im allgemeinen die Völker auf Grund ihrer rassischen Zugehörigkeit verschieden bewerten muß, so auch die einzelnen Menschen innerhalb einer Volksgemeinschaft. Die Feststellung, daß Volk nicht gleich Volk ist, überträgt sich dann auf den einzelnen Menschen innerhalb einer Volksgemeinschaft etwa in dem Sinne, daß Kopf nicht gleich Kopf sein kann, weil auch hier die blutsmäßigen Bestandteile wohl in großen Linien die gleichen sind, allein im einzelnen doch tausendfältigen feinsten Differenzierungen unterliegen.“ (ebd., S. 492) Daher sei es unbedingt nötig, „die innerhalb der Volksgemeinschaft als rassisch besonders wertvoll erkannten Elemente maßgeblichst zu fördern und für ihre besondere Vermehrung Sorge zu tragen.“ (ebd., S. 492 f.)
Dass diese zusammengefassten Ausführungen[29] einen biologistischen Rassismus[30] in reiner Form beinhalten, dürfte außer Frage stehen.

SMS Geschichte

[24] Zum Unterschied von Rassenanthropologie und Rassenhygiene vgl. Punkt 1.1.

[25] „Mein Kampf“ in der mir vorliegenden Ausgabe des Jahres 1934 besteht aus insgesamt zwei Büchern.

[26] Auf S. 316 spricht er im gleichen Zusammenhang auch von „Blutsvergiftung“.

[27] Auf S. 317 ist ebendiese „Rasse“ der „Arier“.

[28] Nebenbei misst er allerdings auch den ‚Völkern‘ Ostasiens eine große kulturelle Rolle zu, vergleichbar mit der der „arischen Rasse“(vgl. ebd., S. 318).

[29] Propagandistisch sicherlich wirksam, benutzte Hitler gern das Stilmittel der Wiederholung.

[30] Albert Memmi definiert Rassismus als „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver biologischer Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers (...), mit der eine Agression gerechtfertigt werden soll“ (Memmi, S. 151). Dies diente als Rechtfertigung von Eroberung, Unterwerfung und Besiedlung im Kolonialismus sowie von Sklavenhandel. Allerdings wäre erst spät in der Neuzeit versucht worden, eine unanfechtbare Garantie für die Echtheit der Behauptung von biologischen Unterschieden zu geben: Systematische und pseudowissenschaftliche Argumente kamen ins Spiel (vgl. Memmi, S. 152 f.).

Stuart Hall bezeichnet Rassismus als „Ausschließungspraxis“, die dazu diene, „bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen“ sowie „Naturalisierung“, einen „Vorgang, in dem kulturelle und soziale Tatsachen als natürliche Tatsachen dargestellt werden“ (Hall, S. 913 f.)

Robert Miles gibt folgende Rassismusdefinition: „1. Gewissen biologischen Merkmalen wird eine Bedeutung zugeschrieben, wodurch sie zum Erkennungszeichen bestimmter Gruppen werden. Status und Herkunft der Gruppe werden so als natürlich und unveränderlich vorgestellt, das Anderssein der Gruppe erscheint als eine ihr innewohnende Tatsache. Mit anderen Worten, es kommt zu einem Prozeß der Rassenkonstruktion. 2. Die so gekennzeichnete Gruppe muß mit zusätzlichen, negativ bewerteten (biologischen oder kulturellen) Merkmalen versehen und so dargestellt werden, als verursache sie negative Folgen für andere.“(Miles, S. 359)

Einen ähnlichen Gedankengang vertritt Wulf D. Hund am Beispiel des Zigeunerstereotyps: „(...) es betreibt die Vorstellung und kategoriale Fixierung einer wesensmäßigen Differenz zwischen Menschen. Dabei bedient es sich der polarisierenden Rhetorik der Ausgrenzung, die Gemeinsamkeit (Vaterland, Gemeinwesen) nicht zuletzt dadurch herzustellen oder zu festigen sucht, daß sie ein negatives Bild derer erzeugt, die zu ihr nicht fähig sein sollen oder sie gar gefährden. Bei deren Stigmatisierung bedient sie sich einer Kombination moralischer (faul) und ästhetischer (schwarz und häßlich) Argumente und versucht so, ein angeblich kulturelles Defizit mit einem visuellen Indikator zu verbinden. Und sie verschiebt die Kausalität des Andersseins aus dem Bereich äußerer Ursachen (Vertreibung, Enteignung, Not) in den des Wesens (Müßiggang als Beruf).“ (Hund, S. 86)

Kaupen- Haas et al. (1999) schreiben in ihrem Vorwort, dass es das Verhältnis von Biologie und Anthropologie sei, das die Grundlage des wissenschaftlichen Rassismus bildete. Damit sei das Konstrukt systematischer Verfahrensweisen gemeint, die gesellschaftliche Differenzierung nach rassistischen Selektionsmustern ausgearbeitet und teilweise politisch umgesetzt habe. Insbesondere gehöre hierzu die Biologie mit ihren Teilen Rassenanthropologie, Humanbiologie, Kriminalbiologie, biologische Soziologie, Soziobiologie, Ethno- Geographie, Erbbiologie, Rassenhygiene und Eugenik (vgl. Kaupen- Haas et al., S. 9).

Zur Nichteignung des Rassenkonzeptes vgl. Kattmann, Ulrich: Warum und mit welcher Wirkung klassifizieren Wissenschaftler Menschen?, in: ebd., S. 65).

Bei Hitler fand eine „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver biologischer Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers“ (Memmi) statt; z.B. „der Jude“, in vermindertem Maße „der Neger“. Ebenso fand eine „Naturalisierung“ (Hall) bei ‚minderwertigen‘ Menschen statt, gleich, welcher ‚Rasse‘. Es wurde, wie Miles anführt, konstruiert, daß andere ‚Rassen‘ oder eben die ‚Minderwertigen‘ negative Folgen für andere (die ‚Höherwertigen‘, die ‚Arier‘) hätten. Dies würde die „Ausschließungspraxis“ (Hall) rechtfertigen.

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