Hilfsschule

Die Hilfsschule im Nationalsozialismus

von Kirsten Knaack

5.4. Vorbereitung zur ‚Euthanasie‘?

Wie oben bereits erwähnt, sieht Schmuhl im Erlass des GzVeN die Vorstufe zur ‚Euthanasie‘, bei der es nicht mehr um die Verhinderung ‚minderwertigen‘ Lebens ging, sondern um die Vernichtung derjenigen, die als ‚lebensunwert‘ angesehen wurden. Aufgrund der weitgehenden Einstellung der Unfruchtbarmachungen ab Kriegsbeginn sowie des gleichzeitigen Erlasses zur Tötung von behinderten Kindern und später auch Erwachsenen kann m.E. von einem Zusammenhang gesprochen werden. Ebenso ist zu beachten, dass die Diskriminierung von ‚Minderwertigen‘, ‚Asozialen‘, ‚Psychopathen‘ und anderen Menschen, die nicht in das propagierte Bild des erbgesunden, arbeitsamen ‚Ariers‘ paßten, auch bedingt durch die Erbgesundheitsgesetze, stetige Steigerung erfuhr. Obwohl die ‚Euthanasie‘ wegen der Befürchtungen von Protesten seitens der Bevölkerung im Geheimen durchgeführt werden mußte, erscheint sie als eine logische Konsequenz der Ausgrenzung von Randgruppen und der utilitaristischen Denkweise seit der Entwicklung des Sozialdarwinismus und der Rassenhygiene (vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit). Dementsprechend ist die Frage der Überschrift dieses Abschnittes eindeutig zu bejahen. Im Folgende wird kurz zusammenfassend auf die ‚Euthanasieaktion‘ eingegangen, wobei Aktionen im gesamten Deutschen Reich und Hamburger Aktionen nebeneinander aufgelistet werden.


5.4.1. Die Durchführung der ‚Euthanasie‘

Auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1935 sprach Reichsärzteführer Wagner das Thema der ‚Euthanasie‘ an. Hitler willigte grundsätzlich in die Durchführung ein, wollte aber bis zum Ausbruch des Krieges warten. Zum Jahreswechsel 1938/39 unterschrieb Hitler eine Vollmacht, die die ‚Kindereuthanasie‘ erlaubte. Von 1939-1945 wurden in etwa 30 ‚Kinderfachabteilungen‘ von Heil- und Pflegeanstalten [78] mindestens 5 000 behinderte Kinder getötet. Dies geschah durch Medikamentenüberdosen oder Verhungernlassen (vgl. Schmuhl, S. 362).
Zwischen Januar 1940 und August 1941 wurden unter dem Kürzel ‚Aktion T 4‘ [79], der ‚Erwachseneneuthanasie‘ in den sechs Tötungsanstalten Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar über 70 000 Insassen von Heil- und Pflegeanstalten getötet. Legitimiert wurde diese Aktion mit der Ermächtigung Hitlers vom 01. September 1939 (Kriegsbeginn; Überfall auf Polen) an Reichsleiter Bouhler und Dr. Brandt: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“ (zit. nach Rudnick, S. 81)
Im August 1941 stoppte Hitler die ‚Aktion T4‘ aufgrund des zunehmenden Protestes in der Bevölkerung und Teilen der Kirche. Die Ermordung ging jedoch dezentral, als ‚wilde Euthanasie‘ bezeichnet, bis 1945 weiter. Die PatientInnen wurden im alltäglichen Anstaltsbetrieb durch Nahrungsmittelentzug und Medikamentenüberdosen umgebracht. Hiervon waren mindestens 30 000 Menschen betroffen.
In Hamburg macht Stadtphysikus Holm bereits im November 1937 den Vorschlag, an „unheilbare oder nur zum Teil heilbare Kranke und Sieche“ Hungerrationen auszugeben (Ebbinghaus, Angelika: Kostensenkung, „Aktive Therapie“ und Vernichtung, in: Ebbinghaus et al., S. 140).
Kindertötungen wurden in Hamburg in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn (gerichtlich erwiesen: 12) und im privaten Kinderkrankenhaus Rothenburgsort (erwiesen: 50) durchgeführt. Die meisten Hamburger Kinder, die umgebracht werden sollten, wurden allerdings in die o.g. Lager transportiert (vgl. Aly, Götz: Der Mord an behinderten Hamburger Kindern zwischen 1939 und 1945, In: Ebbinghaus et al., S. 147).
Die Hamburger Erwachsenen, die der ‚Euthanasie‘ zum Opfer fielen, wahrscheinlich mehr als 2 000, wurden in auswärtigen Anstalten vergast, vergiftet oder durch Verhungern getötet. Dies waren außer ‚Geisteskranken‘ auch Sicherungsverwahrte (z.B. Homosexuelle), arbeitsunfähige Ausländer und Alte und Sieche aus Heimen der Sozialverwaltung (vgl. Kuhlbrodt, Dietrich: „Verlegt nach... und getötet“, in: Ebbinghaus et al., S. 156).

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[78] Hebammen waren verpflichtet, alle körperlich und geistig behinderten Kinder zu melden. Den Eltern wurde meist erzählt, die Kinder müssten zur Behandlung und Förderung in spezielle Kliniken gebracht werden. Stimmten sie dem nicht zu, drohte man mit dem Sorgerechtsentzug. Häufige Verlegungen der Kinder von Anstalt zu Anstalt waren üblich, um den Eltern die Nachforschungen zu erschweren (vgl. Rudnick, S. 79 f.).

[79] Benannt nach der Adresse der Euthanasiedienststelle, der Tiergartenstraße 4 in Berlin.

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