Hilfsschule

Die Hilfsschule im Nationalsozialismus

von Kirsten Knaack

5.2. Der Erlaß des GzVeN

Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ als erstes der erbbiologischen Gesetze der Nationalsozialisten verabschiedet. Es hatte folgenden Wortlaut [auszugsweise; komplett siehe Anhang]:
„§1
(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
1. angeborener Schwachsinn,
2. Schizophrenie,
3. zirkulärem (manisch- depressivem) Irresein,
4. erblicher Fallsucht,
5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
6. erblicher Blindheit,
7. erblicher Taubheit,
8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.
(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet.
§2
(1) Antragsberechtigt ist derjenige, der unfruchtbar gemacht werden soll. Ist dieser geschäftsuntüchtig oder wegen Geistesschwäche entmündigt oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist der gesetzliche Vertreter antragsberechtigt; er bedarf dazu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. In den übrigen Fällen beschränkter Geschäftsfähigkeit bedarf der Antrag der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Hat ein Volljähriger einen Pfleger für seine Person erhalten, so ist dessen Zustimmung erforderlich (...)
§3
Die Unfruchtbarmachung können auch beantragen
1. der beamtete Arzt,
2. für die Insassen einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt die Anstaltsleiter.
(...)
§12
(1) Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen, so ist sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen, sofern nicht dieser allein den Antrag gestellt hat. Der beamtete Arzt hat bei der Polizeibehörde die erforderlichen Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges zulässig.
(...)
§ 18
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1934 in Kraft.
Berlin, den 14. Juli 1933
Der Reichskanzler Adolf Hitler
Der Reichsminister des Innern Frick
Der Reichsminister der Justiz Dr. Gürtner“
(Reichsgesetzblatt Nr. 86 vom 25. Juli 1933, StAHH, 351-10I, Sozialbehörde I, GI00.23 Band 1)
Damit wurde ein Ziel der Rassenhygiene, eine Einschränkung der Fortpflanzung ‚Minderwertiger‘ erreicht.
In der Begründung des GzVeN, die im ‚Deutschen Reichsanzeiger und Preussischen Staatsanzeiger‘ Nr. 172 am 26. Juli nachgereicht wurde (vollständig im Anhang), sind so auch deutlich die rassenhygienischen Wurzeln zu erkennen: „Seit der nationalen Erhebung beschäftigt sich die Öffentlichkeit in steigendem Maße mit den Fragen der Bevölkerungspolitik und dem dauernd zunehmenden Geburtenrückgang.
Es ist aber nicht nur der Rückgang in der Volkszahl, der zu den schwersten Bedenken Anlaß gibt, sondern in gleichem Maße die mehr und mehr in Erschienung tretende Beschaffenheit der Erbverfassung unseres Volkes.
Während die erbgesunden Familien grösstenteils zum Ein- und Keinkindersystem übergegangen sind, pflanzen sich unzählige minderwertige und erblich Belastete hemmungslos fort, deren kranker und asozialer Nachwuchs der Gesamtheit zur Last fällt.
(...), so dass in etwa drei Geschlechterfolgen die wertvolle Schicht von der minderwertigen völlig überwuchert ist. Das bedeutet aber das Aussterben der hochwertigen Familien, so dass demnach höchste Werte auf dem Spiel stehen; es geht um die Zukunft unseres Volkes!
Dazu kommt, dass für Geistesschwache, Hilfsschüler, Geisteskranke und Asoziale jährlich Millionenwerte verbraucht werden, die den gesunden, noch kinderfrohen Familien durch Steuern aller Art entzogen werden. Die Fürsorgelasten haben eine Höhe erreicht, die in gar keinem Verhältnis mehr zu der trostlosen Lage derjenigen steht, die diese Mittel durch Arbeit aufbringen müssen.
(...)
So soll die Unfruchtbarmachung eine allmähliche Reinigung des Volkskörpers und die Ausmerzung von kranken Erbanlagen bewirken.
Da die Sterilisierung das einzig sichere Mittel ist, um die weitere Vererbung von Geisteskrankheiten und schweren Erbleiden zu verhüten, muss sie demnach als eine Tat der Nächstenliebe und Vorsorge für die kommende Generation angesehen werden. So ist das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses eine wahrhaft soziale Tat für die betroffenen erbkranken Familien. [sic]
(...)
zu § 1:
Zu den in Abs. 2 genannten Krankheiten ist zu sagen, dass das Gesetz sich absichtlich auf diejenigen Krankheiten beschränkt, bei denen der Erbgang hinreichend wissenschaftlich erforscht ist. Ein Verlust wertvollen Erbgutes ist bei den in Frage kommenden Erbkranken nicht zu befürchten.
(...)
Zu § 12:
Ist die Unfruchtbarmachung durch einen endgültigen Beschluss angeordnet worden, so kann auf die Ausführung auch dann nicht verzichtet werden, wenn die freiwillige Duldung des chirurgischen Eingriffes nicht zu erreichen ist.
(...)“
(StAHH, 354-5I, Jugendbehörde I, 322; Betonung i. Orig.)

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