|
2.2.2. Die Entwicklung des Faschismus in Deutschland
Die Entwicklung des Faschismus in Deutschland erklärt Kühnl folgendermaßen (vgl. Kühnl 1983, S. 12 ff.): Der Faschismus sei aus dem Kapitalismus hervorgegangen. Das Kapital benötigte den Faschismus als Herrschaftsform, daher förderten Kräfte aus Großindustrie und Großbanken die Errichtung der faschistischen Diktatur und bestimmten ihre Expansionspolitik wesentlich mit.
Alle wesentlichen Elemente der faschistischen Ideologie seien in der deutschen Gesellschaft bis 1918 jedoch schon ausgebildet gewesen: Militarismus, Imperialismus, Nationalismus, Rassismus, Autoritarismus. Der Kapitalismus produzierte permanent autoritäre und irrationale Denk- und Verhaltensweisen, was eine geeignete ideologische Vorbereitung auf den Faschismus darstellte. Das Bürgertum bejubelte 1914 den Krieg und empfand 1918 als vernichtende Niederlage, während die Arbeiterbewegung größtenteils gegen den Krieg demonstrierte und die Niederlage Deutschlands 1918 als entscheidende Bedingung für ihre Verbesserung der Lebenslage durch Revolution sahen. Die imperialistischen Ziele Deutschlands im 2. Weltkrieg wären laut Kühnl ähnlich wie diejenigen im 1. Weltkrieg gewesen. Hier sei eine Kontinuität der sozialen Interessen und Machtgruppen seit dem Kaiserreich festzustellen. Der deutsche Imperialismus sei, im Gegensatz zu den westlichen Demokratien, zum Faschismus übergegangen, da Deutschland aufgrund seiner starken feudalistischenTraditionen bei der Industrialisierung und der Verteilung der Welt zu spät gekommen sei. Der Aufstieg der faschistischen Bewegung nach 1929 sei vor dem Hintergrund der sozialökonomischen Bedingungen zu sehen, die einzig und allein ein Produkt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung seien (schwere Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit, Deklassierung der Mittelschichten). Da alle Parteien (außer die NSDAP und die KPD, die jedoch die bürgerliche Eigentumsverfassung grundsätzlich aufheben wollte) bereits Anfang der 30er Jahre dabei versagt hätten, die Wirtschaftskrise, die soziale Deklassierung und das materielle Elend abzuwenden und die Führer der faschistischen Partei auch antikapitalistische Parolen benutzten, um diejenigen zu gewinnen, die von der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung enttäuscht waren, wäre der Aufstieg der faschistischen Bewegung gesichert gewesen. Der Masseneinfluß und die Massenbasis des faschistischen Systems konnte zwischen 1935 und 1939 noch erweitert werden, obwohl Lohnabhängige wie Kleineigentümer aus der politischen Willensbildung ausgeschlossen gewesen wären. Gründe hierfür wären die Kombination verschiedener Elemente:
a) Ein schrankenloser und als Drohung ständig gegenwärtiger Terror gegen jeden, der sich dem System in Wort und Tat widersetzte.
b) Das Informations- und Propagandamonopol des Staates.
c) Eine reale Verbesserung der materiellen Lebenslage gegenüber dem Elend der Weltwirtschaftskrise durch Rüstungskonjunktur und Kriegsvorbereitung, woraus sich eine massive Arbeitsplatzbeschaffung ergab.
d) ‚Nationale Erfolge‘, wie die Besetzung des Rheinlands, der Anschluß des Saarlands, Österreichs und des Sudetenlands schmeichelten dem Nationalstolz.
e) Vielfältige Möglichkeiten in den Massenorganisationen trugen zur Bestätigung des Selbstwertgefühls bei.
f) Zusammenschweißung durch gemeinsam begangene Verbrechen.
Auch die Kirche hätte eine wichtige ideologische Hilfe gebracht: Sie rief die Gläubigen immer wieder zu Gehorsam und Opfermut gegenüber dem Regime auf.
Nach Kühnl gewann der Antisemitismus in der deutschen faschistischen Ideologie und Propaganda eine enorme Bedeutung, jedoch hätte er bereits in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung des Kaisereichs zur Sicherung der Ordnung bestanden: Als Sündenbockfunktion, um den Kapitalismus aus dem Blickfeld der Kritik zu rücken. Im faschistischen System sei der Antisemitismus allerdings nicht als systemstabilisierend zu betrachten, sondern eher als Eigendynamik [46].
Kfz-Versicherung Suchmaschinenoptimierung Tagesgeldkonto Girokonto kostenlos
[46] Laut Kühnl wäre der Antisemitismus und der Massenmord an den Juden zur Herrschaftssicherung nicht erforderlich gewesen, da die ökonomisch Herrschenden nicht daran interessiert gewesen wären.
Die Kontinuität des Antisemitismus hätte demnach von der Lenkung der sozialen Unzufriedenheit gegen ‚Sündenböcke‘ zur Herrschaftssicherung im Kaiserreich über die Weiterführung der Hetze von vielen Organen und Organisationen bis in den akademischen Bereich in der Weimarer Republik stattgefunden.
Die NSDAP hätte ihren Antisemitismus nie verheimlicht gehabt, genausowenig wie die Drohung der physischen Liquidierung der ‚Volksschädlinge‘. Die Bündniskräfte hätten also davon gewusst, sich aber nicht abschrecken lassen, da ihnen die Zerschlagung der Arbeiterbewegung und die Erreichung des Expansionsprogramms wichtiger gewesen wären; zudem stellte der Antisemitismus eine bewährte Form zur Massenmobilisierung dar wie auch zur Kanalisation sozialer Unzufriedenheit.
Der Antisemitismus sei zu sehen im Zusammenhang mit der gesamtpolitischen Lage und den jeweiligen Hauptproblemen und –zielen faschistischer Innen- und Außenpolitik; es bestehe ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang zwischen Profitinteressen, Faschismus und Massenmord, inklusive von Teilen der slawischen Völker, Franzosen, Holländer, Belgier etc. (Enteignung jüdischer Vermögen, Auspressung der Arbeitskraft der Häftlinge, Verwertung der Leichen und der letzten Habe, Auspressung der ausländischen Zwangsarbeiter, teilweise Vernichtung der polnischen und russischen Intelligenz). Fazit: Der Massenmord an Juden sei aufgrund partieller Verselbständigung der faschistischen Ideologie und Staatsgewalt gegenüber den Profitinteressen des Monopolkapitals wie den Herrschaftsinteressen des Systems durchgeführt worden.
|