Hilfsschule

Die Hilfsschule im Nationalsozialismus

von Kirsten Knaack

6.3.1. Positive Beurteilungen

Der Schüler A, geb. 1929, seit 1939 in der Hilfsschule Bergedorf wegen „geringer Auffassungsgabe“, ist ein Idealbeispiel für ein sozial erwünschtes Verhalten. 1941/42 trug sein Lehrer Schäfer ein: „A zeichnete sich durch Fleiß und Aufmerksamkeit aus; er war mit Interesse beim Schulgeschehen. Schulfortschritte sehr erfreulich. Er gehört zu den Führern der Kl.“ Im Schlußurteil bei der Entlassung am 25. März 1944 wird noch dazu sein ‚gesunder Körper‘ und sein Charakter gerühmt: „Aus dem anfangs sehr trägen u. phlegmatischen Schüler wurde ein aufmerksamer, strebsamer Junge, der in fast allen Fächern erfreuliche Fortschritte machte. In den Leibesübungen zeigte er Mut u. Ausdauer; er ist ein gewandter Schwimmer. Charakterlich ist er einwandfrei. Arbeitseifer und Arbeitswille war immer vorhanden. Er wird als Zimmererlehrling eingestellt.
Richard Schäfer, Hilfsschulleiter“
A scheint also durchaus ‚nützlich‘ für die ‚Volksgemeinschaft‘ zu sein.
Ein anderes Beispiel sind die Zwillingsbrüder B und C, 1924 geboren, beide in der Hilfsschule seit 1936. Die Lehrerin Frieda Buchholz stellte die positiven Eigenschaften der beiden heraus, obwohl die negativen keinesfalls verschwiegen wurden. Ebenso vermutet sie eine umweltbedingte Lernschwäche, und nicht, wie die den Hilfsschulbesuch beantragende Volksschule, „mangelhafte Begabung , körperliche Schwäche, unregelmäßiger Schulbesuch“: „20.3.39. B hat Schwierigkeiten mit der Sprache. Er kann sehr schlecht etwas erzählen, alles kommt polternd, gehemmt, undeutlich heraus. Er kann leicht jähzornig werden; hat aber im übrigen einen gutgearteten Charakter. Die in seiner ganzen Haltung sichtlich hervortretenden Hemmungen verdankt er wohl den nicht günstigen häuslichen Verhältnissen. Vater und Stiefmutter gehen eigene Wege, und beide haben anscheinend nicht sehr viel für die Kinder übrig.
Mit seinem Zwillingsbruder C zusammen hat er nun eine Lehre als Steinsetzer gefunden.“ Auch über C schreibt Frieda Buchholz Positives: „20.3.39 C ist wie sein Zwillingsbruder B normal intelligent. Er kam wegen seiner körperlichen Schwäche, ungünstiger häuslicher Verhältnisse u. wegen seines undisziplinierten Benehmens in die Hilfsschule. In unserer Schule ist im allgemeinen über sein Benehmen nicht klage geführt worden, wenn man von einigen Dummenjungenstreichen absieht.
Das Ziel der Hilfsschule hat er erreicht sowohl im Deutschen wie im Rechnen. Wie sein Bruder B hat er eine besondere Begabung für Zeichnen u. Werkunterricht u. Gartenarbeit. Leider hat er einen Herzfehler und scheint körperlich nicht so ganz kräftig zu sein. Er hat eine Lehrstelle als Steinsetzer angenommen, die er seiner Geschicklichkeit wegen bestimmt gut durchhalten wird, wenn nur die körperlichen Kräfte dafür ausreichen.“ [Interpunktionsfehler i. Orig.]
Widersprüchlich sind die Bemerkungen bei der Schülerin D. Während Frieda Buchholz sie zwar zu den „schwächeren Schülern der Klasse“ rechnet, aber sie im Lesen und Schreiben als „gut“ beurteilt, sieht Richard Schäfer nur ein Jahr später keinerlei gute Leistungen mehr im schriftlichen Deutschen. Ebenso klassifizierte er als „Apathie“, was Frieda Buchholz als artig, still und ruhig ansah.
Hier wird deutlich, daß das NSDAP- Mitglied Schäfer eine negativ belastete Einordnung meint vornehmen zu müssen, auch wenn KollegInnen dies anders sahen.

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