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5. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN)
5.1. Bestrebungen für ein Sterilisationsgesetz vor 1933
Nicht nur in Deutschland wurde eine Sterilisation aus eugenischen Gründen vor und nach 1933 diskutiert. Rudnick (S. 20 f.) markiert den Diskussionsbeginn 1898, als in Chicago/ USA das Verfahren zur Durchtrennung von Samenleitern entwickelt wurde und 1899 im Strafvollzug zum ersten Mal durchgeführt wurde. In Deutschland begann die Diskussion im Jahr 1899 und wurde kontinuierlich fortgesetzt, bis 1924 der Entwurf eines Sterilisationsgesetzes durch den Zwickauer Betriebsarzt Gustav Boeters mit dem Titel „Die Verhütung unwerten Lebens durch operative Maßnahmen“ (‚Lex Zwickau‘) dem Reichsjustizministerium zugeleitet wurde. Da der Textentwurf bereits Parallelen zum GzVeN aufweist, wird er hier ausführlich zitiert:
„1. Kinder, die bei ihrem Eintritt in das schulpflichtige Alter wegen angeborener Blindheit, angeborener Taubheit, wegen Epilepsie oder Blödsinn als unfähig erkannt werden, am normalen Volksschulunterricht mit Erfolg teilzunehmen, sind baldmöglichst einer Operation zu unterziehen, durch welche die Fortpflanzungsfähigkeit beseitigt wird. Die für die innere Sekretion wichtigen Organe sind zu erhalten (Sterilisierung).
2. Geisteskranke, Geistesschwache, Epileptiker, Blindgeborene, Taubgeborene und moralisch Haltlose, die in öffentlichen oder privaten Anstalten verpflegt werden, sind vor einer Entlassung oder Beurlaubung zu sterilisieren.
3. Geisteskranke, Geistesschwache, Epileptiker, Blindgeborene und Taubgeborene dürfen erst nach erfolgter Unfruchtbarmachung eine Ehe eingehen.
4.Frauen und Mädchen, die wiederholt Kinder geboren haben, deren Vaterschaft nicht feststellbar ist, sind auf ihren Geisteszustand zu untersuchen. Hat sich erbliche Minderwertigkeit ergeben, so sind sie entweder unfruchtbar zu machen oder bis zum Erlöschen der Befruchtungsfähigkeit in geschlossenen Anstalten zu verwahren.
5.Strafgefangene, deren erbliche Minderwertigkeit außer Frage steht, ist auf ihren Antrag ein teilweiser Straferlaß zu gewähren, nachdem sie sich freiwillig einer unfruchtbar machenden Operation unterzogen haben. Das gerichtliche Verfahren gegenüber Sittlichkeitsverbrechern wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.
(...)
7.Die Sterilisierung vollwertiger Menschen wird wie schwere Körperverletzung bestraft.
(...)“ (zit. nach Brill, S. 192)
Ebenso sprachen sich die verschiedenen Rassenhygieniker (vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit) für eugenisch motivierte Sterilisationen aus. Von den politischen Parteien hatten zum Ende der Weimarer Republik außer der NSDAP auch die DNVP, mit einigen Einschränkungen das Zentrum und die SPD die Sterilisation befürwortet. Nur die KPD sprach sich explizit dagegen aus (vgl. Rönnfeldt, S. 14).
1932 verabschiedete der Ausschuß des Preußischen Landesgesundheitsrates einen neuen diesbezüglichen Gesetzesentwurf, der aber im Reichstag nicht mehr behandelt wurde. Rudnick belegt, dass allerdings schon vor Erlaß des GzVeN in der Weimarer Zeit Menschen aus eugenischen Gründen sterilisiert worden sind (vgl. Rudnick, S. 22 f.). Die Anzahl der eugenischen Sterilisationen in der Weimarer Republik ist allerdings nicht zu ermitteln, da nur vereinzelt in der zeitgenössischen Literatur Angaben dazu zu finden sind (vgl. Brill, S. 188).
Auch in Hamburg nahmen führende Mediziner eindeutig Position für die Sterilisation ‚Minderwertiger‘ ein, so z.B. 1929 Otto Kankeleit, Oberarzt der neurologisch- psychiatrischen Abteilung in Langenhorn (heute Ochsenzoll) oder 1904 Wilhelm Weygandt, Ordinarius für Psychiatrie der Universität Hamburg und Leiter der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg bis 1933 (heute AK Eilbek) (vgl. Brücks, Andrea/ Rothmaler, Christiane: „In dubio pro Volksgemeinschaft“, in: Ebbinghaus et al. 1984, S. 30).
Aufgrund der massiven Agitation der Rassenhygieniker stand bereits Anfang 1933, vor der Machtübertragung an die NSDAP, fest, dass die eugenische Unfruchtbarmachung legalisiert werden würde. Die NSDAP musste das GzVeN Mitte 1933 nur noch abschließend behandeln (vgl. Schmuhl, S. 104 f.).
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